Voit*, Kassel - Für lässige Aromenweltenbummler

Veröffentlicht am 05.01.2020


Namensgeber Onkel Voit (ausgesprochen Foit) wäre bestimmt stolz auf seinen Neffen Sven Wolf, Küchenchef und Inhaber des Restaurants Voit in Kassel, wenn er die nachfolgende Zeilen lesen könnte. Normalerweise spoilern wir an dieser Stelle noch nicht unser Urteil. Die grundsätzlich Geste, sein Lebensprojekt nach einem verstorbenen Familienmitglied zu benennen, ist in jedem Fall sehr sympathisch. Aber wir beginnen am besten von vorne.

 

Außenansicht

Die Friedrich-Ebert Straße im Vorderen Westen von Kassel beherbergt in erster Linie Ladengeschäfte und ganz nebenbei das einzige Restaurant der Stadt mit Michelin-Stern, welches sich recht unauffällig in den Straßenzug einordnet.

Sein Besitzer und Küchenchef Sven Wolf hat hier sein kleines kulinarisches Reich geschaffen - ein (Casual) Fine Dining Restaurant mit rund 40 Sitzplätzen und vollständig offener Küche. Die Einrichtung ist geschmackvoll puristisch und casual. Man könnte sich genauso gut in Stockholm oder Kopenhagen befinden. Genau der richtige Ort, um hier seinen Feierabend in Kassel zu verbringen.

Das ungezwungene Ambiente weht einem bereits am Eingang entgegen. Das Restaurant ist bis auf den letzten Platz an diesem Mittwochabend ausgebucht und der Lautstärkepegel ungewohnt hoch. Es wird laut gelacht, angestoßen und angeregt geplaudert, genau wie man sich es eigentlich wünscht - keine peinliche Stille.

Die ungezwungene Atmosphäre spiegelt sich direkt im Service-Personal wieder, welches ebenfalls auf förmliche Klischees verzichtet und eine gewisse, lässige Coolness versprüht. Das einfache Mobiliar ist maximal bequem und der Wunsch nach schweren, überweichen Sesseln wird einen sicherlich an diesem Abend nicht überkommen.

Offene Küche

Beim Aperitif, einem Glas Billecart-Salmon Brut Réserve Champagner (€ 14,--), wird die Speisekarte auf einem Klemmbrett serviert. Auch diese erlaubt dem Gast maximale Freiheit bei der Auswahl, indem sie weder ein Menü vorschreibt, noch irgendwelche Restriktionen beinhaltet. Und wer nur ein Hauptgericht mit einem guten Wein genießen möchte, tut dies einfach, oder wählt einfach "Einmal Alles"  für € 110,--.

Die Gerichte werden schlüssig in die Kategorien "Weide", "Wasser" und "Süß" unterteilt und lesen sich wie eine kulinarische Reise zwischen Europa und Asien. Natürlich wird das volle Programm (7 Gänge) gewählt und ebenso die fair bepreiste, jeweilige Weinempfehlung  (rund 70 € für 7 Gläser). Die Spannung steigt.

Apéros

Ein paar Apéros markieren den Start. Während sich ein Tapioka-Cracker mit Lachstartar und Limette noch etwas in geschmacklicher Unauffälligkeit übt, sorgen roh marinierte Jakobsmuschel-Scheiben mit Wassermelone und fein akzentuierte thailändischen Aromen für den ersten schönen kulinarischen Moment und offenbaren gleichzeitig ein gern gewähltes Leitmotiv der Küche: fein akzentuierte asiatische Aromen. Die dritte Kleinigkeit ist ein handwerklich makellos zubereiteter, kalter Beeftea. Ein vielversprechender Start.

Rindertartar - schwarzer Knoblauch - Himbeere - Kapuziner-Kresse

Schon der Signature Dish von Sven Wolf und erste Gang des Menüs, ein Rindertartar mit schwarzem Knoblauch, Himbeere und Kapuzinerkresse, hängt die kulinarische Messlatte enorm hoch.

Durch eine Vielzahl von fein abgestimmten Aromen und Komponenten gelingt es, ein handwerklich makellos zubereitetes Tartar multidimensional in Szene zu setzen. Ein süffiger Sud aus Schalotten mit Kapuzinerkresse-Öl dient als Trägersubstanz und vereint das Tartar geschickt mit in den, Himbeeressig gekochten, Schalotten, knusprigen Topinambur-Chips, Daikon und einer Creme von schwarzem Knoblauch. Locker lässig eines unserer besten Tartars und mit erinnerungswürdigem Charakter.

Label Rouge Lachs - Nashi Birne - Kerbel - Meerrettich

Weiter geht es mit Lachs (mit französischem Qualitätssiegel: Label Rouge) welcher ebenfalls in eine stimmige Aromenkomposition eingebettet ist. Eine exzellente Emulsion aus Nashi-Birnen-Sud, Kerbel- und Zitronengrasöl besticht durch ein präzises Säurespiel und die feinstimmige, asiatische Akzentuierung passt wunderbar zum ganz leicht gegarten Fisch. Zusätzlich sorgen etwas gepickelter, asiatischer Rettich, etwas kraftvoller Meerrettich und leichte Schärfe von Jalapeno für eine spannende euroasisatisches Geschmacksexplosion. Durch die aromatische Finesse wird der Teller niemals langweilig und ist schlichtweg sensationell. 

Steinpilz  - Pfifferling - Speck - Eigelb

Die Küche hat nach dem eindrucksvollen, feinsinnigen Einstieg wohl Lust das Ruder etwas herumzureißen und serviert als nächsten Gang eine echte Umami-Bombe. Die perfekt an der oberen Salzgrenze austarierte Mélange aus Steinpilzen, in Sherry eingelegten Morcheln, ausgelassenem Speck, Pfifferlingen, einer Pilz-Zabaglione und cremigen Eigelb schmeckt zutiefst befriedigend und absolut köstlich. Ein wunderbarer, eingängiger Wohlfühlgang, welcher von der ersten bis zur letzten Gabel einfach Spaß macht. Hervorragend!

Reh - Trüffel - Sellerie - Holunder

Es bleibt herzhaft. Ein im Salzteig Stück Sellerie wird von einer zarten Scheibe Reh und einer Holundercreme bedeckt. Hinzu kommt eine, mit Zwiebelschaum gefüllte Roscoff-Zwiebel und eine intensive Jus mit Trüffel- und Holundernoten. Auch an diesem Gang gibt es absolut nichts auszusetzen. Der butterweiche Sellerie ergänzt sich hervorragend mit der Säure des Holunders und den intensiven weiteren Mitspielern. Auch dieser Teller steckt voller kleiner aromatischen Kicks und ist ebenfalls wunderbar umgesetzt.

Sanddorn-Sorbet - Dillöl

Ein kleiner frischer Papillenreiniger, bestehend aus einem Sanddorn-Sorbet mit Dillöl belebt mit prägnanter Säure und schöner Ätherik den Gaumen wieder. Ein willkommener Einschub.

Adlerfisch - Haselnuss - Tomate - Olive

Eine schön gegarte Tranche Adlerfisch wird mit einer Haselnusscreme, frittierten Kapern, ligurischen Oliven, Tomatenstücken, Keniabohnen, Petersilienpüree und einem Dörrtomaten-Fond serviert. Hier geben die fruchtig-süß-säuerlichen, nussigen und grünen Noten dem Fisch einen reizvollen Aromenhorizont und somit eine schöne Basis. Denn egal wie man sich seine Gabel zusammenbastelt, es wird nichts überlagert und der feine Fisch bleibt jederzeit der Protagonist im Geschehen. Das knackige, junge Gemüse macht den Teller zudem leicht und wird geschickt subtil von der Üppigkeit Haselnuss abgerundet. Der Dörrtomaten-Fond ist der aromatische Anker und filigran austariert. Ein genialer Teller mit einer gewissen Prise Understatement!

Challans Ente - Rote Beete - Vadouvan - Pflaume

Der Hauptgang haut dann aromatisch wieder stärker auf die Pauke. Ein knusprig gebratenes Stück Brust von der Challans Ente wird von dreierlei intensiven Pürees und einer Sauce Riche begleitet. Salzige Rote Beete, ein Auberginen-Püree mit Vadouvan, gepopptem schwarzen Reis und eine säuerliche Sauce von fermentierter Pflaume fungieren wie Dips und lotsen das Gericht aromatisch von Frankreich über Schweden nach Indien. Das ist Cross-Over auf kulinarisch beeindruckendem Niveau und dabei aromatisch wesentlich weniger plakativ, als die Kombinationen beim Lesen vermuten lassen. Fabelhaft!

Cheesecake - Brombeere - Mohn - Schwarzer Tee

Und zum Schluss schüttelt die Küche noch lässig ein schönes Wohlfühl-Dessert aus dem Ärmel. Ein zerrissener Käsekuchen mit Mohneis, Brombeeren, Erdnussstaub und einem Schwarztee-Gel hören sich im ersten Moment zugegebenermaßen eher spannungslos an, sind aber belebend und alles andere als trist am Gaumen. Das liegt vor allem an der angenehmen Herbheit des Schwarztees, welche immer etwas präsent ist und das Dessert aromatisch interessant über Wasser hält. Das Mohneis ist dabei ein echter Knaller und auch der Käsekuchen ist unheimlich lecker. Die Säure und Fruchtigkeit der Brombeeren und etwas Erdnuss füllen die fehlenden Aromenlücken geschickt auf. So gehts.

Zum doppelten Espresso gibt es dann noch eine schöne Salzkaramell-Praline.

 

Selten vergingen die Stunden so schnell wie an diesem Abend - einem exzellenten Menü und reizenden, unkomplizierten Gastgebern sei Dank. Es freut einen immer wieder, wenn tolle Küche auch unter der Woche von Gästen gewürdigt wird und dass an diesem Mittwoch kein einziger Platz unbesetzt war, ist wiederum eine schöne Bestätigung.

Getränkebegleitung:

Auch die Weinbegleitung machte Spaß und unterwarf sich  - ebenso wie das Menü - keiner grundsätzlichen, regionalen Einordnung.

Weinbegleitung

Aperitif: Billecart-Salmon Brut Réserve Champagner
 1. Gang (Tartar): Weingut Wolf, Rosé "Wolfsrudel", Pfalz, 2018
 2. Gang (Lachs): Weingut Maximin Grünhaus, Riesling "Alte Reben", Mosel, 2017
 3. Gang (Steinpilz): Weingut Bercher, Muskateller "Burkheimer Schlossgarten", Baden, 2016
 4. Gang (Reh): Weingut Topf, Pinot Noir "Ried Stangl", Österreich, 2015
 5. Gang (Adlerfisch): Domaine Mas de Dumas Gassac, Blanc de Blanc, Languedoc, 2014
 6. Gang (Ente): Winery Mitolo, Cabernet Sauvignon "Serpico", Australien, 2015
 7. Gang (Dessert): Weingut Rappenhof, Riesling Spätlese "Niersteiner Pettenthal", Rheinhessen, 2009

DAS TEAM

Sven Wolf, Meik Kraft & Crew

Fazit:

Im Voit in Kassel serviert die Küchen-Crew um Sven Wolf eine enorm spannende Küche mit beeindruckendem Gespür für feine Aromen und Proportionen. Kaum ein Restaurant hat uns in 2019 positiver überrascht. Onkel Voit wäre sicherlich stolz wie Bolle auf das Restaurant seines Neffen, über welches wir hoffentlich noch viel hören werden.


Weitere Informationen:

Adresse: Restaurant VOIT
  Friedrich-Ebert-Straße 86
  34119 Kassel
   
Homepage: https://www.voit-restaurant.de/
   
Öffnungszeiten: Dienstag - Samstag 18:00 - 21:00 h
   
Besuchskonditionen: Unser Besuch wurde vollständig durch uns bezahlt
   
Kosten: 7-Gang-Menü (€ 110,--), à la carte Hauptgänge ca. 34 €
  Glasweise Weinbegleitung individuell
   
Datum des Besuchs: 18.09.2019
   
Auszeichnungen: 1 Stern (Guide Michelin 2019)
  15 Punkte (Gault Millau 2020)
  3 Hauben (Der Große Gude)